20. Dezember 2024

Rezension: "Mats und Rea drehen am Rad der Geschichte" von Dorit Linke

 


Titel: Mats und Rea drehen am Rad der Geschichte
Autorin: Dorit Linke
Verlag: selffpublished
Seiten: 160
Preis: 9,90€


Manchmal kann man sich gar nicht vorstellen, dass es noch nicht einmal vierzig Jahre her ist, dass es zwei deutsche Staaten gegeben hat. Viel zu schnell vergisst man in unserer kurzlebigen Zeit die Umstände der deutschen Teilung. Das Schicksal von zig Menschen auf der anderen Seite der Mauer. Das alltägliche Leben in einer Diktatur.
Doch man sollte nicht vergessen.
Und genau das hat die Autorin Dorit Linke sich auf die Fahnen geschrieben. Sie selbst ist in der DDR aufgewachsen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, heutige Jugendliche an das Thema „DDR“ heranzuführen und zu informieren. Nicht zu belehren. Aber einen Blick dafür zu entwickeln, wie anders man es früher gehabt haben könnte.
Genau das tut sie auch in ihrem neusten Jugendroman „Mats und Rea drehen am Rad der Geschichte", welcher ein Reihenauftakt ist. Das Buch ist kurzweilig, unterhaltsam und vor allem sehr authentisch. Es passt sich der Adressatengruppe zu einhundert Prozent an, weshalb ich es nur empfehlen kann.


Ohne Informationen, ohne Plan und ohne Handy landen Rea und Mats im Jahr 1985 - in einer Telefonzelle der DDR. Alles beginnt harmlos: Der Bürgermeister würdigt im Jahr 2024 in einer Veranstaltung eine Telefonzelle. Das Betreten des muffigen Mahnmals früherer Kommunikation befördert Mats und Rea aus dem heutigen Berlin nach Thüringen, in die DDR.
Doch das wissen sie vorerst nicht. Beim Verlassen der Telefonzelle stehen sie auf einem Feldweg neben Garagen und sind ziemlich lost. Sie werden von Kindern umzingelt, die sie auf eine Nachtwanderung mitnehmen. Reas und Mats Neugier ist größer als ihre Angst, doch sie haben Fragen: Wo sind sie? Wieso tragen die Kinder so schräge Vintageklamotten?
Rea und Mats lernen sympathische Kinder kennen. Während sich überall mega Storys für den nächsten Post finden (wo sind eigentlich unsere Handys?), stolpern Mats und Rea von einem Fettnäpfchen ins nächste. Zunächst ist das unbeschwert und lustig, doch im Ferienlager, in welches sie von den Kindern geschleust werden, spürt Rea zunehmend die Enge des damaligen Systems. Sich den Mund verbieten lassen? Sich Autoritäten beugen? Kommt nicht in Frage.
Was als lustiges Abenteuer beginnt, wird bald Ernst: Es ist Alarm in Thüringen, an der Grenze zu Bayern. Sie begegnen Peggy, einer Außenseiterin, die verloren wirkt. Können Mats und Rea ihr helfen? Dürfen sie überhaupt in den Lauf der Geschichte eingreifen oder explodiert dann das Universum, wie Mats nicht müde wird zu betonen? Und dann ist da noch das kleine Detail ihrer Rückkehr ins Jahr 2024. Was, wenn ihnen dieser Weg für immer versperrt bleibt?

Das Setting ist natürlich nicht einwandfrei logisch. Die Geschichte beginnt bei einer Denkmaleinweihung in Berlin, zu der die Handballmannschaft von Mats und Rea eingeladen wurde. Für die Jugendlichen entpuppt sich die langweilige Veranstaltung als große Überraschung. Durch Zufall geraten die beiden in die gerade eingeweihte Telefonzelle, die an die DDR erinnern soll. Doch was keiner ahnt, ist dass diese Telefonzelle Mats und Rea in das Jahr 1985 transportiert. Auch die Jugendlichen selbst haben zunächst keine Ahnung, wo sie gelandet sind und erst Recht nicht, dass es sich um eine andere Zeit handelt. Doch Mats und Rea wird schnell klar, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Warum haben die Jugendlichen keine Smartphones? Warum singen sie so komische Lieder? Und was für merkwürdige Klamotten tragen sie eigentlich?
Mats und Rea geraten mitten in ein Ferienlager in der DDR und müssen einen Weg nach Hause finden. Doch ohne es zu wollen, erregen sie Aufmerksamkeit. Und nicht nur die Lagerleitung, sondern auch die Volkspolizei wird so langsam auf die beiden aufmerksam. Besonders, als Mats und Rea einem Mädchen helfen wollen, deren Eltern gerade in den Westen flüchten wollten…
Die Geschichte beginnt unmittelbar und nimmt den Leser sofort mit. Man ist ziemlich schnell im Geschehen drin und es wird auch nicht mehr langweilig. Trotzdem fehlte mir manchmal der rote Faden, beziehungsweise das Ziel der Geschichte. Andererseits bildet dieses Buch erst den Auftakt einer Reihe. Es muss also noch eine ganze Menge kommen. Für mich lag der Fokus der Geschichte eher auf dem Aufbau des Settings und der Klärung der Umstände. Mats und Rea sind ganz normale Jugendliche aus dem Jahr 2024. Man kann sich vorstellen, dass eine Begegnung mit einer Gruppe Jugendlicher aus dem Jahr 1985 ein Kulturschock sein muss. Dieser Schock war großartig! Denn einerseits führt einem das Buch wunderbar vor Augen, wie anders damals alles war. Und gleichzeitig zeigt es, dass Jugendliche irgendwie immer gleich sind. Besonders toll fand ich die Authentizität der Geschichte, die eher nebenbei daherkommt. Damit meine ich Formulierungen, Sprüche („Rucki-zucki!“), Songs oder einfache Beschäftigungen, die man damals gemacht hat, um sich die Zeit zu vertreiben – und das ganz ohne Smartphone.
Innerhalb der Geschichte gibt es bei Mats und Rea einen Wandel. Sie begreifen nicht, warum die Betreuer die Kinder schlagen dürfen. Warum man ihnen ihre eigene Meinung nicht lässt. Oder warum es verboten sein sollte, über New York zu reden. Erst nach und nach begreifen sie, dass sie viel zu wenig über diesen Unrechtsstaat wissen, um zu beurteilen, was die Jugendlichen Tag für Tag aushalten. Dieser Wandel ist sehr spannend und gut gelungen. Das Thema ist einfach wirklich toll und sehr jugendgerecht dargestellt. Ganz nebenbei lernt man als Leser alltägliche Lebenssituationen in der DDR kennen. Gleichzeitig ist die Geschichte brandaktuell. Selbst Taylor Swift findet Einzug in die Handlung. Der Kontrast zwischen damals und heute steht immer im Vordergrund und diesen darzustellen, gelingt wirklich sehr gut.
Ich habe mich lediglich an einer Kleinigkeit gestört. Denn ich habe nicht verstanden, was Mats und Rea ausmacht. Ich war mir nicht einmal sicher, ob die beiden wirklich Freunde sind oder eher Mannschaftkollegen. Man erfährt nicht sehr viel über die beiden. In diesem Kontext erschloss es sich mir auch nicht, warum Rea die Ich-Erzählerin der Geschichte ist. Ich habe mich zumindest nicht mit ihr identifizieren können. Aber vielleicht bin ich hier auch überkritisch. Denn, stelle ich mir vor, wie beispielsweise meine Schüler*innen dieses Buch lesen würden, glaube ich, dass ihnen der Kontext reicht. Und das spricht ja wiederum für die Adressatengerechtigkeit.

Insgesamt hat Dorit Linke es geschafft, ein Stück gesellschaftliche Geschichte in einen tollen Jugendroman zu verpacken. Das Buch ist wirklich kurzweilig und unterhält den Leser sehr gut. Es ist sowohl amüsant, als auch ernst und diese Kombination ist sehr gut gelungen. Auch ich als Geschichtslehrerin habe noch etwas gelernt und freue mich sehr auf das Lesen der nächsten Teile. Ich vergebe 4,5 Sterne.