Titel: Holmes und ich - Unter Verrätern
Autor: Brittany Cvallaro
Verlag: dtv
Preis: 18,95€
Seiten: 352
Als „Holmes und ich – Die Morde von Sherringford“ herauskam,
brauchte ich es unbedingt. Ich bin ein großer Sherlock Holmes Fan und was war
ich glücklich, dass sich eine Autorin getraut hat, die Rolle des Sherlocks an
das weibliche Geschlecht zu übertragen. Charlotte Holmes ist eine
Ur-ur-ur-Enkelin (oder vielleicht noch ein „ur“?“) des großen Detektivs,
genauso wie Jamie Watson aus der Linie von John Watson entstammt. Zusammen sind
sie ein großartiges und skurriles Team. Und natürlich spielen auch Gefühle
zwischen den beiden eine Rolle – eine Tatsache, die auch den beiden klassischen
Figuren oft vorgeworfen wurde. Aber ganz egal aus welchen Gründen, ich fand den
ersten Teil von „Holmes und ich“ wirklich gut. Und deswegen freute ich mich auf
„Unter Verrätern“. Jamie und Charlotte haben so viel Potenzial! Aber der neue
Fall ist wahnsinnig kompliziert, alles ist so verwirrend und ich habe das Buch
nicht immer mit positiven Gefühlen gegenüber den Charakteren gelesen. Das ist
zum Teil auch gewollt, ja. Aber in „Holmes und ich – Unter Verrätern“ fehlte
trotz guter Unterhaltung leider das gewisse Etwas – und auch ein bisschen das
Verständnis.
Nachdem sie bei ihrem ersten Fall beinahe umgebracht wurden,
kommen die Ferien Charlotte und Jamie ziemlich gelegen. Gemeinsam wollen sie
ein paar Tage auf dem englischen Landsitz der Holmes‘ verbringen. Aber
Charlotte ist nicht die einzige Holmes mit Geheimnissen, und die Atmosphäre
bald sehr angespannt. Zudem knistert es heftig zwischen Charlotte und Jamie.
Sind sie wirklich bloß Freunde? Als plötzlich Charlottes Onkel, Detektiv, wie
es sich für einen Holmes gehört, verschwindet, ist das eine willkommene
Ablenkung. Die beiden stürzen sich sofort in die Ermittlungen. Sein letzter
Auftrag führt sie zu einem Kunstfälscherring. Erster Halt: Berlin. Erste
Kontaktperson: August Moriarty – ehemaliger Schwarm von Charlotte und von
vielen tot geglaubt...
Der Klappentext ist toll und insgesamt trifft er den Inhalt
auch ziemlich gut. Das Setting ist genauso faszinierend, wie man erahnen kann.
Die erste Hälfte des Buches vergeht außerdem wie im Flug. Zuerst befindet man
sich in Sussex auf dem Anwesen von Charlottes Familie. Man lernt ihren Onkel
Leander kennen, ebenso wie weitere Familienmitglieder. Langsam kann man
nachvollziehen, wie Charlotte zu derjenigen gefühlskalten jungen Frau wurde, die
sie ist. Und dennoch bleibt Jamie immer an ihrer Seite. Leander verschwindet
und die Geschichte verlagert sich nach Berlin, was für einen deutschen Leser
wahnsinnig cool ist. Berlin wird als junge und hippe Kunststadt präsentiert,
was sie sicher auch ist. In Berlin tauchen Milo Holmes und August Moriarty auf.
Insgesamt ein sehr gelungenes Konstrukt. Aber dann beginnt die Geschichte immer
wieder Schleifen einzulegen. Charlotte ist eine Figur, die niemals zu
durchschauen ist. Umso interessanter wird es, dass zwei Kapitel am Ende des
Buches aus ihrer Sicht verfasst sind. Den kleinen Turn der Autorin fand ich
sehr gut, denn so lernt man Charlotte ganz anders kennen. Sie gibt dem Leser
einen winzigen Zugang zu sich selbst, was wirklich toll war. Doch grundsätzlich
tut sie in diesem Buch Dinge, die ich nicht nachvollziehen konnte. Für mich ist
sie ein toller Charakter, der wirklich Probleme hat, die ernst zu nehmen sind. Ihre
Figurenzeichnung ist gelungen, aber eben sehr untransparent. Aber so bleibt es
geheimnisvoll. Jamie hingegen ist selbst für den Leser ein offenes Buch – und
ein sympathisches dazu. Er hat sich innerhalb der beiden Bände bereits toll
entwickelt, ist mutiger und ein kleines bisschen cleverer geworden. Und
trotzdem symbolisiert er natürlich den normalen Menschen an der Seite des
Genies. Alles was er hat, hat er sich hart erarbeitet. Ich bewundere Jamie,
auch wenn er natürlich ein wenig zu sehr einem unerreichbaren Ideal nachstrebt –
John Watson. Tatsächlich würde ich der These zustimmen, dass Jamie manchmal zu
sehr wie die beiden berühmten Detektive sein will, statt sein eigenes Ding zu
machen. Von diesem „eigenen Ding“ gibt es in diesem Buch dennoch sehr viel und
die Kombination von Jamie und Charlotte passt immer noch wirklich gut.
Aber dann kommen die ganzen anderen Charaktere. Leander ist klasse und ich
liebte seine Szenen, von denen es verständlicherweise nicht allzu viele gibt.
Aber Charlottes Eltern? Ihr Bruder Milo? Und August Moriarty? Und was ist
eigentlich mit seinen verkorksten Geschwistern? Das gesamte Figurenkonzept ging
meiner Meinung nach nicht auf. Denn auch wenn Brittany Cavallaro sich an die
historischen Vorbilder halten will, klappt es nicht ganz. Milo ist zwar farblos
wie das Original, aber ich konnte ihn zu keiner Zeit verstehen. Und August?
Seine Rolle wird sicher unterschätzt. Ein undurchschaubarer Charakter, der sich
erst zum Ende hin offenbart und bei dem man sich andauernd fragt, ob man ihm
trauen soll oder nicht.
Klingt alles irgendwie spannend? Ist es auch. Aber meiner Meinung nach hat die
Autorin sich in der Undurchschaubarkeit der Handlung ein wenig verrannt.
Vielleicht ist es ein gelungener Holmes-Fall, aber als Leser muss ich gestehen,
konnte ich nicht immer folgen. Wer war denn jetzt am Ende wofür verantwortlich?
Und was soll das Ende überhaupt? Mich hat das Buch doch irgendwie ziemlich
unbefriedigt zurückgelassen, obwohl es wirklich spannende Momente hat. Das
Thema des Kunstfälschens fand ich ebenfalls toll, genauso wie den Handlungsort
Berlin. Aber mir hat die Holmessche Auflösung gefehlt. Die Mischung aus
Spannung und Deduktion mit jugendlichen Gefühlen oder eben auch Liebe war nicht
ganz gelungen. Die Beziehung zwischen Charlotte und Jamie ist nach dem Buch
wahrscheinlich noch hundertmal komplizierter, als zuvor. Aber ich möchte den
Abschlussband trotzdem ganz bald in den Händen halten, denn das Ende ist
grauenhaft. Es gefiel mir sowohl handlungstechnisch als auch in Hinsicht auf
den Cliffhänger nicht. Aber gut. So ist man gezwungen den nächsten Band zu
lesen. Und das werde ich tun.
Zum Schreibstil kann ich nur Gutes sagen. Man kommt recht schnell voran, kann
Jamie gut nachvollziehen und wird in die Geschichte gezogen. Den Wechsel in
Charlottes Sicht fand ich gelungen, da sich so neue Perspektiven eröffnet.
Kritisieren muss ich allerdings den Titel, wofür aber wahrscheinlich niemand
außer der Sprache selbst, etwas kann. Schon beim ersten Teil war es sehr
schade, dass der originelle Titel „A Study in Charlotte“ nicht aufgegriffen
werden konnte. Schließlich hieß so das erste Buch den großen Arthur Conan Doyle
und mit der Namengebung von Charlotte ist es einfach herausragend. Auch der
zweite Teil hat im Original einen gigantischen Titel „The Last of August“, was
der Titel eines der gefälschten Gemälde ist, aber auch Deutungen in Bezug auf
August Moriarty zulässt. Sei es drum, „Unter Verrätern“ kommt da einfach nicht
heran, was ich sehr schade finde. Die Geschichte bleibt die gleiche und das
deutsche Cover ist trotzdem gelungen, aber diese wundervolle Intelligenz der
originalen Titel fehlt einfach.
„Holmes und ich – Unter Verrätern“ war anfangs ein wirklich
tolles Buch, das durch seine immer undurchschaubareren Handlungsstränge
irgendwann zu verwirrend für mich wurde. Ich kam mit der Aufklärung nicht ganz
zurecht, was sehr schade ist. Die Atmosphäre und das Setting des Buches sind
absolut toll. Vor allem Berlin und die Kunstszene kommen super zur Geltung. Die
Charaktere sind interessant und die Protagonisten absolut gelungen.
Die Nebenfiguren machen die Sache aber schwer, weshalb ich letztendlich nur zu
3,5 Spitzenschuhen komme. Und dennoch freue ich mich auf Band drei. Ich bin
gespannt, was unsere Sprache aus „The Case of Jamie“ machen wird.