13. Juni 2018

Rezension: "Das Mädchen, das in der Metro las" von Christine Féret-Fleury



Titel: Das Mädchen, das in der Metro las
Autor: Christine Féret-Fleury
Verlag: DuMont
Preis: 18,00€
Seiten: 176

Ich war in meinem Leben bereits zwei Mal in Paris. Bei diesen Besuchen bin ich natürlich auch mit der Metro gefahren und obwohl ich nur als Tourist unterwegs war, hatte ich immer ein Buch in der Metro dabei. Als ich vom Titel „Das Mädchen, das in der Metro las“ hörte, horchte ich daher sofort auf. So viel Identifikation, so viel Atmosphäre: Lesen in der Stadt der Liebe! Der Klappentext sprach mich sofort an und so griff ich zu diesem winzigen, herzlichen Buch. Die Geschichte an sich hatte viele Leerstellen und hinterließ manchmal Fragezeichen in meinem Gesicht, aber obwohl das Lesen selbst nicht immer die reinste Freude war, macht dieses Buch unglaubliche Lust auf das Lesen selbst. Und allein das ist absolut zauberhaft!

Jeden Morgen sitzt Juliette in der Metro auf dem Weg zu ihrer eintönigen Arbeit in einem Maklerbüro und taucht ein in die Welten ihrer Romane. Mal begibt sie sich mit Marcel Proust auf die Suche nach der verlorenen Zeit, mal begleitet sie Hercule Poirot im Orientexpress Richtung Istanbul - manchmal beobachtet sie auch einfach die Menschen um sich herum, die in ihre Lektüre vertieft sind. Es sind die Bücher, die Juliettes Leben Farbe verleihen. Als sie eines Tages beschließt, zwei Stationen früher auszusteigen, begegnet sie dem schrulligen Soliman, der mit seiner Tochter Zaïde inmitten seiner Bücherstapel lebt. Soliman glaubt, dass jedes Buch, wenn es an die richtige Person übermittelt wird, die Macht hat, ein Leben zu verändern. Auserwählte Boten liefern für ihn diese kostbare Fracht aus, an die, die sie nötig haben. Bald wird Juliette zu einer Botin, und zum ersten Mal haben die Bücher einen wirklichen Einfluss, auch auf ihr Schicksal.

Ich finde die Idee der Autorin Christine Féret-Fleury einfach wundervoll. „Das richtige Buch kann dein Leben verändern“ ist einer der Punkte, den „Das Märchen, das in der Metro las“ transportiert. Der Roman stellt das Buch selbst in den Vordergrund. Dieser Gedanke ist so einfach und trotzdem innovativ. Es gibt zwar viele Geschichten über Liebe zu Büchern, doch in diesem Buch verschwinden die Charaktere selbst hinter den Geschichten aus den Büchern. Die Protagonisten sind daher schwer greifbar. „Das Mädchen“ ist eine junge Frau, die ihren richtigen Platz im Leben noch nicht gefunden hat. Ihr Name ist Juliette, doch es werden immer wieder Bezeichnungen wie „die junge Frau“ verwendet, um eine gewisse Distanz zu suggerieren. Sie ist die Handlungsträgerin, man verfolgt ihre Gedanken und trotzdem bleibt sie beinahe anonym. Es ist nicht Ziel des Buches, Juliettes Charakter deutlich zu machen. Vielmehr soll die Ziellosigkeit des Lebens vor Augen geführt werden, wenn man im Alltag feststeckt. Ein Zitat aus dem Buch passt an dieser Stelle sehr schön:
„Die kleinste Veränderung konnte ein Abenteuer sein, wenn man sie nur annahm.“ (S. 136)
Juliette nimmt diese Veränderung an. Denn sie wird Buchbotschafterin und verändert dadurch ein gesamtes vorheriges Leben. Der Prozess, den Juliette durchmacht, ist sehr interessant. Allerdings ist es auch schwer, ihn nachzufühlen, wenn den Leser und die Protagonistin wenige Emotionen verbinden. Es ist schwer zu beschreiben, aber Juliette ist trotz Protagonistenstatus, nicht der richtige Protagonist – es sind die Bücher. Sie verändern Juliettes Leben, aber auch das von anderen Menschen. Mir gefiel die Geschichte selbst nicht so sehr, denn die Ziellosigkeit ist eine Art Haupthandlungsstrang. Aber mir gefiel die Liebe zu Büchern und dem Lesen. Zwar konnte mich die Geschichte nicht packen, denn das Thema des Buchbotschafters hätte dafür anders aufgebaut sein müssen, aber ich habe die Atmosphäre und die Botschaft der Geschichte geliebt. Bücher können mehr sein, als ein paar bedruckte Seiten! Und das wird durch „Das Mädchen, das in der Metro las“ schön transportiert.
Die anderen Figuren der Geschichte sind ebenso verschwommen gezeichnet, wie Juliette. Soliman ist ein komischer Vogel und sein Leben ist undurchschaubar. Wie da seine Tochter Zaide herein passt, ist ebenso fraglich. Aber die beiden haben auch etwas Besonderes. Mich konnten sie zwar nicht packen, doch das gelang auch Juliette nicht. Leonidas war mir allerdings sehr sympathisch. Das Figurenkonzept hätte durchaus besser sein können, aber darauf kam es in diesem Buch auch nicht so recht an. Die Botschaft ist viel wichtiger.
Trotz dieser wichtigen Botschaft will ich die Handlung nicht vollkommen ausblenden. Denn diese hätte durchaus etwas spannender aufgebaut sein können. Die Geschichte ist abstrakt und ungewöhnlich. Als wenn man ein kleines Stück Fantasie in der Realität hat. Aber eben etwas abgedreht. Der Teil mit dem Lesen in der Metro kam mir persönlich zu kurz. Doch kurz ist ein gutes Stichwort. Denn das Buch ist wahnsinnig kurz, mit seinen 175 Seiten. Man liest es sehr schnell, obwohl das Schriftbild klein ist. Manchmal sollte man sich aber mehr Zeit mit der Geschichte lassen. Ich habe sie nicht an einem Tag gelesen und das würde ich auch keinem empfehlen, da man sonst den Bezug zur Geschichte verlieren könnte. Der Stil ist in Ordnung, manchmal aber etwas sprunghaft. Einige Zeitsprünge habe ich nicht ganz verstanden, was aber auch mir gelegen haben könnte.


„Das Mädchen, das in der Metro las“ ist durchaus etwas Besonderes mit einem gewissen Charme. Das Beste an diesem Buch ist, dass das Buch selbst die Hauptrolle spielt und die Charaktere sich beinahe schon zurücknehmen. Nebenbei nimmt man aber auch die Entwicklung einer jungen Frau wahr, die ihr Leben den Büchern verschrieben hat. Manchmal ist die Geschichte skurril und verrückt. Realitätsfern. Rätselhaft. Aber irgendwie schön. Das Buch ist nicht das unterhaltsamste und auch nicht sehr spannend. Aber es macht wahnsinnige Lust auf das Lesen und direkt nach dem Beenden der Geschichte, will man sich am liebsten sofort in die nächste stürzen. Ich danke der Autorin für diese schöne Idee und vergebe 3,5 Sterne für „Das Mädchen das in der Metro las“.


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