Titel: Das Mädchen, das in der Metro las
Autor: Christine Féret-Fleury
Verlag: DuMont
Preis: 18,00€
Seiten: 176
Ich war in meinem Leben bereits zwei Mal in Paris. Bei
diesen Besuchen bin ich natürlich auch mit der Metro gefahren und obwohl ich
nur als Tourist unterwegs war, hatte ich immer ein Buch in der Metro dabei. Als
ich vom Titel „Das Mädchen, das in der Metro las“ hörte, horchte ich daher
sofort auf. So viel Identifikation, so viel Atmosphäre: Lesen in der Stadt der
Liebe! Der Klappentext sprach mich sofort an und so griff ich zu diesem
winzigen, herzlichen Buch. Die Geschichte an sich hatte viele Leerstellen und
hinterließ manchmal Fragezeichen in meinem Gesicht, aber obwohl das Lesen
selbst nicht immer die reinste Freude war, macht dieses Buch unglaubliche Lust
auf das Lesen selbst. Und allein das ist absolut zauberhaft!
Jeden Morgen sitzt Juliette in der Metro auf dem Weg zu
ihrer eintönigen Arbeit in einem Maklerbüro und taucht ein in die Welten ihrer
Romane. Mal begibt sie sich mit Marcel Proust auf die Suche nach der verlorenen
Zeit, mal begleitet sie Hercule Poirot im Orientexpress Richtung Istanbul -
manchmal beobachtet sie auch einfach die Menschen um sich herum, die in ihre
Lektüre vertieft sind. Es sind die Bücher, die Juliettes Leben Farbe verleihen.
Als sie eines Tages beschließt, zwei Stationen früher auszusteigen, begegnet
sie dem schrulligen Soliman, der mit seiner Tochter Zaïde inmitten seiner
Bücherstapel lebt. Soliman glaubt, dass jedes Buch, wenn es an die richtige
Person übermittelt wird, die Macht hat, ein Leben zu verändern. Auserwählte
Boten liefern für ihn diese kostbare Fracht aus, an die, die sie nötig haben.
Bald wird Juliette zu einer Botin, und zum ersten Mal haben die Bücher einen
wirklichen Einfluss, auch auf ihr Schicksal.
Ich finde die Idee der Autorin Christine Féret-Fleury
einfach wundervoll. „Das richtige Buch kann dein Leben verändern“ ist einer der
Punkte, den „Das Märchen, das in der Metro las“ transportiert. Der Roman stellt
das Buch selbst in den Vordergrund. Dieser Gedanke ist so einfach und trotzdem
innovativ. Es gibt zwar viele Geschichten über Liebe zu Büchern, doch in diesem
Buch verschwinden die Charaktere selbst hinter den Geschichten aus den Büchern.
Die Protagonisten sind daher schwer greifbar. „Das Mädchen“ ist eine junge
Frau, die ihren richtigen Platz im Leben noch nicht gefunden hat. Ihr Name ist
Juliette, doch es werden immer wieder Bezeichnungen wie „die junge Frau“
verwendet, um eine gewisse Distanz zu suggerieren. Sie ist die
Handlungsträgerin, man verfolgt ihre Gedanken und trotzdem bleibt sie beinahe
anonym. Es ist nicht Ziel des Buches, Juliettes Charakter deutlich zu machen.
Vielmehr soll die Ziellosigkeit des Lebens vor Augen geführt werden, wenn man
im Alltag feststeckt. Ein Zitat aus dem Buch passt an dieser Stelle sehr schön:
„Die kleinste Veränderung konnte ein Abenteuer sein, wenn man sie nur annahm.“ (S. 136)
Juliette nimmt diese Veränderung an. Denn sie wird Buchbotschafterin und
verändert dadurch ein gesamtes vorheriges Leben. Der Prozess, den Juliette
durchmacht, ist sehr interessant. Allerdings ist es auch schwer, ihn
nachzufühlen, wenn den Leser und die Protagonistin wenige Emotionen verbinden.
Es ist schwer zu beschreiben, aber Juliette ist trotz Protagonistenstatus,
nicht der richtige Protagonist – es sind die Bücher. Sie verändern Juliettes
Leben, aber auch das von anderen Menschen. Mir gefiel die Geschichte selbst nicht
so sehr, denn die Ziellosigkeit ist eine Art Haupthandlungsstrang. Aber mir
gefiel die Liebe zu Büchern und dem Lesen. Zwar konnte mich die Geschichte
nicht packen, denn das Thema des Buchbotschafters hätte dafür anders aufgebaut
sein müssen, aber ich habe die Atmosphäre und die Botschaft der Geschichte
geliebt. Bücher können mehr sein, als ein paar bedruckte Seiten! Und das wird
durch „Das Mädchen, das in der Metro las“ schön transportiert.
Die anderen Figuren der Geschichte sind ebenso verschwommen gezeichnet, wie
Juliette. Soliman ist ein komischer Vogel und sein Leben ist undurchschaubar.
Wie da seine Tochter Zaide herein passt, ist ebenso fraglich. Aber die beiden
haben auch etwas Besonderes. Mich konnten sie zwar nicht packen, doch das
gelang auch Juliette nicht. Leonidas war mir allerdings sehr sympathisch. Das
Figurenkonzept hätte durchaus besser sein können, aber darauf kam es in diesem
Buch auch nicht so recht an. Die Botschaft ist viel wichtiger.
Trotz dieser wichtigen Botschaft will ich die Handlung nicht vollkommen
ausblenden. Denn diese hätte durchaus etwas spannender aufgebaut sein können. Die
Geschichte ist abstrakt und ungewöhnlich. Als wenn man ein kleines Stück
Fantasie in der Realität hat. Aber eben etwas abgedreht. Der Teil mit dem Lesen
in der Metro kam mir persönlich zu kurz. Doch kurz ist ein gutes Stichwort.
Denn das Buch ist wahnsinnig kurz, mit seinen 175 Seiten. Man liest es sehr
schnell, obwohl das Schriftbild klein ist. Manchmal sollte man sich aber mehr
Zeit mit der Geschichte lassen. Ich habe sie nicht an einem Tag gelesen und das
würde ich auch keinem empfehlen, da man sonst den Bezug zur Geschichte
verlieren könnte. Der Stil ist in Ordnung, manchmal aber etwas sprunghaft.
Einige Zeitsprünge habe ich nicht ganz verstanden, was aber auch mir gelegen
haben könnte.
„Das Mädchen, das in der Metro las“ ist durchaus etwas
Besonderes mit einem gewissen Charme. Das Beste an diesem Buch ist, dass das
Buch selbst die Hauptrolle spielt und die Charaktere sich beinahe schon
zurücknehmen. Nebenbei nimmt man aber auch die Entwicklung einer jungen Frau
wahr, die ihr Leben den Büchern verschrieben hat. Manchmal ist die Geschichte
skurril und verrückt. Realitätsfern. Rätselhaft. Aber irgendwie schön. Das Buch
ist nicht das unterhaltsamste und auch nicht sehr spannend. Aber es macht
wahnsinnige Lust auf das Lesen und direkt nach dem Beenden der Geschichte, will
man sich am liebsten sofort in die nächste stürzen. Ich danke der Autorin für
diese schöne Idee und vergebe 3,5 Sterne für „Das Mädchen das in der Metro las“.
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