Titel: Olga
Autor: Bernhard Schlink
Verlag: diogenes
Preis: 20,99€
Seiten: 320
Zu Beginn des Jahres habe ich meine Freude gegenüber dem
Programm des diogenes-Verlags entdeckt. Bereits im letzten Jahr las ich den
Klassiker „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink, weshalb ich mich über sein neues
Buch mit dem Titel „Olga“ sehr freute. Als Geschichtslehrerin begrüße ich
Gegenwartsliteratur mit historischem Zwischenspiel sehr. Doch Schlink widmet
sich keinesfalls nur einem Zwischenspiel, die deutsche Geschichte tritt in
diesem besonderen und interessanten Roman als eine Art Nebenfigur selbst auf
und katapultiert den Leser somit in einen großen Teil der deutschen Geschichte
selbst zurück. „Olga“ ist ein bewegender, interessanter und tiefschichtiger
Roman über eine starke Frau, die in Zeiten lebte, die bis heute nicht für jeden
erfassbar sind.
Die Geschichte der Liebe zwischen einer Frau, die gegen die
Vorurteile ihrer Zeit kämpft, und einem Mann, der sich mit afrikanischen und
arktischen Eskapaden an die Träume seiner Zeit von Größe und Macht verliert.
Erst im Scheitern wird er mit der Realität konfrontiert – wie viele seines
Volks und seiner Zeit. Die Frau bleibt ihm ihr Leben lang verbunden, in
Gedanken, Briefen und einem großen Aufbegehren.
Bernhard Schlink ist ein großer Name der deutschen
Gegenwartsliteratur und das auch zurecht. Sein Roman „Der Vorleser“ überraschte
mich maßlos und deswegen waren auch meine Erwartungen an „Olga“ nicht gering.
Was zunächst auffällt ist die relativ distanzierte Erzählart des Autors. Bernhard
Schlink versucht nicht seine Figuren in einem guten Licht darzustellen. Man
soll gar nicht mit ihnen sympathisieren. Gerade ihre Schwächen, die mehr als
deutlich gezeichnet werden, sorgen aber für Identifikation. Dies trifft in
jedem Fall auf die Titelfigur Olga zu. Olgas Geschichte wird in drei Teilen
erzählt, die alle eine andere Art des Erzählens haben. Der Roman beginnt sehr
unmittelbar, man wird direkt in das Geschehen gezogen und dem Leser wird die
Kindheit von Olga in wenigen Sätzen präsentiert. Schlink setzt dabei keinerlei
Wert darauf, Emotionen beim Leser hervorzurufen. Im Gegenteil, die Erzählweise suggeriert
Neutralität, vielleicht sogar Objektivität und Distanz. Der Leser soll sie
seine Meinung über Olga im Laufe des Romans selbst bilden, was auch wunderbar
funktioniert. Der Autor findet sehr schnell zum Hauptthema des Buches, nämlich
die Beziehung zwischen Olga und Herbert.
Wobei man sagen muss, dass diese
untypische Liebesgeschichte eigentlich nur eine Stellvertreterrolle für die
angegebene historische Zeit ist. Denn Schlink erzählt eigentlich zwei
Geschichten und macht die erste am Beispiel der zweiten deutlich. Soll heißen:
Schlink hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Bild der brisanten deutschen
Geschichte zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert und dem endenden 20.
Jahrhundert darzustellen. Und um diese Zeit zu verstehen, bettet er die
Geschichte einer Frau ein, die alle Höhen und Tiefen miterlebt. Dabei werden
epochale und weltverändernde Phasen, wie etwa der Nationalsozialismus, beinahe
ausgespart und eher am Rande erwähnt. Denn für Olga ist das eine schmerzliche Phase.
Die Präsenz der Zeit ist aber immer allgegenwärtig und beeinflusst Olga in
ihrem Lebensweg. Es geht um die Zeit. Aber um diese zu verstehen, wurde Olga
erschaffen. An ihrem Beispiel wird das Schicksal einer Generation deutlich und
dieses Schicksal ist mehr als bewegend, weil grausam. Dieses Grundgerüst ist
meiner Meinung nach grandios gelungen und konnte mich begeistern. Das Cover mit
der scheinbar einsamen und nachdenken Frau passt dementsprechend
hundertprozentig zur Geschichte. Mir gefiel die Komponente der Geschichte
selbst als Hauptfigur wirklich gut!
Aber genug der interpretatorischen Worte. Das Buch ist sehr gut aufgebaut, denn
es ist in drei ungleiche Teile unterteilt. Der erste Teil handelt von Olga und
Herbert selbst: ihre Kindheit, ihre Jugend, ihre beginnende Liebe, der Schmerz
des Schicksals. Beiden ist es vergönnt aufgrund ständischer Gegebenheiten
zusammen zu sein. Herbert ist ein träumerischer Charakter, der ruhelos und
suchend ist. Ich mochte ihn nicht. Doch Olga hat sich in diesen Mann verliebt
und ihn bei all seinen Wolkenschlössern unterstützt, soweit dies möglich ist.
Mir gefiel zwar Herberts Charakter nicht, seine Rolle ist aber bedeutend und
gut gewählt. Dass Schlink sein Schicksal ausspart, ist eine interessante
Wendung, die dem Leser Spielraum ermöglicht. Olga wird in diesem Teil des
Buches hingegen sehr genau gezeichnet. Man bekommt einen guten Eindruck von der
strebsamen jungen Frau, die eigentlich gar nicht in ihre Zeit passt. Auch Olga
ist keine Sympathieträgerin, soll dies aber auch nie sein. Was sie aber
unbestritten ist, ist authentisch. Und das ist für diesen Roman entscheidend.
Bereits nach dem ersten Teil ist ein Großteil der Geschichte erzählt und die
Perspektive wechselt. Der Autor deckt hierbei eine Zeit vom Ende des 19.
Jahrhunderts bis ca. 1950 ab, was enorm ist. Kennt man sich mit Geschichte
nicht so sehr aus, sollte man die Jahreszahlen und Ereignisse immer im Blick
behalten, da man sonst schnell den Überblick verliert und nicht mehr weiß, in
welcher Zeit sich das Buch gerade befindet. Hierbei sind die Sprünge manchmal
auch sehr chaotisch, was das Verstehen des Romans erschwert. Wissen über
deutsche Geschichte wird in gewissem Maße vorausgesetzt.
Der zweite Teil des Romans wird von jemand vollkommen Neues erzählt. Seinen
Namen erfährt der Leser erst auf den letzten Seiten. Es handelt sich um einen
Sohn eines Pfarrers in dessen Familie Olga ab den 50ern als Näherin gearbeitet
hat. Die Perspektive wird nun vollkommen verschoben, denn eine andere
Generation erzählt. Dementsprechend ist die Sicht komplett umgedreht, etwas
rebellischer, etwas jünger. Olgas zweiter Lebensabschnitt nach den beiden
Weltkriegen wird aufgezeigt. Es ist für den Leser nahezu ein Mysterium, was ein
einzelner Mensch in diesen Jahren alles erlebt haben kann. Wie grausam muss es
in dieser Zeit gewesen zu sein, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg miterlebt
zu haben, die verschiedenen Systeme und das fragile Nachkriegssystem. Und in
all diesem großen Ganzen musste man sich zurecht finden: eine nahezu unlösbare
Aufgabe – in meinen Augen. Der zweite Teil verliert ein wenig an Spannung, doch
erzählt er sehr gut. Interessant ist vor allem, dass aufgezeigt wird, wie ein Mensch aus verschiedenen Perspektiven ganz anders wirken kann.
Der dritte Teil besteht dann lediglich aus Briefen. Briefe, geschrieben von
Olga an Herbert. Der anfangs anonyme Erzähler beschafft diese und durch die
Briefe wird das bisher erworbene Wissen über Olga noch einmal deutlich
revidiert. Schlink meistert es bravourös, die Botschaften seines Romans immer
wieder umzukehren und zu verändern. Er lässt verschiedene Figuren auf den Plan
treten, um die ganz große Geschichte, die er erzählen will, zu erschaffen – und
das gelingt. Der Briefteil gefiel mir inhaltlich sehr gut, ist aber ebenfalls
wenig abwechslungsreich. Hier spricht aber zum ersten Mal Olga selbst, was
wiederum interessant ist.
Der Schreibstil von Bernhard Schlink bleibt den ganzen Roman über distanziert. Es ist
nicht die spannendste Art zu schreiben, doch diese Beschreibungen machen den
Roman wirklich interessant. Die Aufgliederung in die drei Teile ist sehr klug
und sorgt für Abwechslung. Man lernt die Protagonistin aus immer wieder neuen
Blickwinkeln kennen, was sehr gelungen ist und Authentizität schafft. Was mir
die meiste Zeit fehlte war Sympathie und Identifikation. Aber ich glaube auch
nicht, dass diese beiden Faktoren vom Autor gewollt wären. Was Schlink aber
schafft, ist eine tolle und interessante, manchmal sogar abgrundtiefe und
geheimnisvolle Geschichte einer Frau zu erschaffen, die in die wahren Verstrickungen
der Geschichte hervorragend eingearbeitet wurde. Man darf aber nicht vergessen,
dass der Roman daher relativ ernst und nicht immer spannend oder schön zu lesen
ist. Aber er ist ein Erlebnis – ein Erlebnis eines Teils der deutschen
Geschichte.
„Olga“ ist ein Roman mit viel Anspruch, der
Geschichtskenntnis benötigt, aber auch erschafft. Bernhard Schlink schreibt mit
seiner distanzierten Art keine Sympathiegeschichte einer tollen Protagonistin
nieder, sondern eine ernste und authentische Geschichte einer Frau, die in den
historischen Tücken der deutschen Geschichte leben muss. Hierbei spielt die
Liebe immer eine Rolle, denn sie definiert Olga. Vielmehr bewundere ich aber
die Geschichte selbst, die die größte Nebenrolle spielt. „Olga“ ist nicht
unbedingt ein unglaublich spannendes Buch, aber ein ernster und anregender
Roman, der jeden Geschichtsinteressierten in seinen Bann ziehen kann. Ich
vergebe vier Spitzenschuhe für diese interessante und abwechslungsreiche
Lektüre.
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