18. Januar 2023

Rezension [Hörbuch]: "Penelope und die zwölf Mägde" von Margaret Atwood


Titel: Penelope und die zwölf Mägde
Autor: Margaret Atwood
Sprecher: Nina Kunzendorf u.v.a.
Verlag: Der Hörverlag
Preis: 22,00€
Dauer: 3h 35m
 

Vor einer Weile gab es im Kulturteil unserer Regionalzeitung einen Artikel über den Trend in der Literatur, alte Sagen und Legenden feministischer zu gestalten. Konkret wurde hier die griechische Schaffenszeit betrachtet und geschildert, dass es immer mehr Bücher gibt, die sich mit dem Schicksal der namenlosen Frauen in der Geschichte (fiktiv) widmen.
So wurde ich auch auf das Buch „Penelope und die zwölf Mägde“ von Margaret Atwood aufmerksam, denn auch dieses wurde im Artikel erwähnt. Als ich dann sah, dass es im Hörverlag ein Hörbuch zum Buch gibt, war ich Feuer und Flamme. Wie schildert wohl die sittsame Frau des berühmten Odysseus das gemeinsame Leben? Welche neuen Aspekte bringt die weibliche Komponente ein? Und was hat es mit den Mägden auf sich? Ich war sehr gespannt auf die Geschichte! Doch, was ich letztendlich bekam, übertraf alle meine Erwartungen. „Penelope und die zwölf Mägde“ ist als Hörbuch jetzt schon eines meiner absoluten Jahreshighlights!



Margaret Atwood ist überzeugt: »Die Geschichte, wie sie in der ›Odyssee‹ erzählt wird, ist nicht wasserdicht.« Hier erzählt deshalb Penelope selbst rückblickend ihre Geschichte, skeptisch und scharfsichtig betrachtet sie ihr Leben, ihren seefahrenden Gatten Odysseus, die gewiefte Cousine Helena, den dümmlichen Paris, die brutale, patriarchalische Gesellschaft der Antike. Die Mägde bilden einen Chor, der den Bericht Penelopes aus der anonymen Perspektive der Machtlosen ergänzt. Intim, leicht und dabei illusionslos beschreiben die Frauen, was sie sehen, denken und erleben.


Schon der Klappentext klingt gut, keine Frage. Und ich bin mir auch sicher, dass das Buch an sich wirklich klasse ist. Aber das Medium des Hörbuchs verleiht dieser Geschichte wirklich noch einmal den besonderen Touch! Warum? In dieser Geschichte geht es nicht nur um Penelope selbst, sondern eben auch um die zwölf Mägde. Für diejenigen, die keine Ahnung von der Odyssee haben: Als Odysseus nach jahrelanger Irrfahrt heimkehrt und sein Zuhause von Freiern belagert findet, tötet er nicht nur alle Freier, sondern lässt auch die zwölf jüngsten Mägde hinrichten, die sich mit ebendiesen Freiern eingelassen haben. Die Geschichte dieser zwölf ist bisher wohl noch nie wirklich beleuchtet worden. Doch das ändert Margaret Atwood, indem sie den Namenlosen eine Stimme verleiht. Die Mägde bilden immer wieder einen Chor im Hörbuch und übernehmen somit sowohl die klassische Funktion des Chors in der griechischen Tragödie, als auch die Chance, ihre eigene Geschichte preiszugeben. Gelesen werden die zwölf von drei Sprecherinnen. Luise Ehl, Johanna Engel und Toni Pitschmann lesen die Mägde sehr emotional und fesselnd. Es ist wirklich toll, wie sich die Stimmen überlappen und sie sich gegenseitig ergänzen. Manche Passagen werden von den Mägden gesungen, andere gemeinsam erzählt. Hinzu kommt, dass sie eben eigene Charaktere sind. Durch Atwood sind sie nicht mehr namen- oder geschichtenlos. Die Kapitel der Mägde – immer sehr kurz, übrigens – sind einfach nur spannend und tragen wirklich etwas zur Entwicklung der Geschichte bei.
Doch in dieser Geschichte spielt eigentlich jemand anderes die Hauptrolle: Penelope von Sparta. Ich muss zugeben, dass ich diese griechische Figur als absolut langweilige graue Maus im Kopf hatte. Ich habe die Odyssee nämlich tatsächlich gelesen. Und was man dort über die Ehefrau von Odysseus erfährt, ist wirklich nicht viel. Nun wird dieser grauen Maus aber das ganze Buch gewidmet und der Figur wird die Zeit gegeben, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie mehr war, als nur die langweilige und tugendhafte Ehefrau. Klappt das? Oh ja, und wie!
Denn die großartige Erzählerin Penelope ist sich ihrer historischen Außenwirkung absolut bewusst. Sie kokettiert ein wenig mit ihrem Ruf und stellt auf unglaublich grandiose Art und Weise dar, wie sie die Dinge erlebt hat. Ihr Erzählstil ist dabei sehr sarkastisch und extrem modern. Margaret Atwood hat Penelope das moderne Denken zugeschrieben und so verwendet sie auch aktuelles Vokabular und manchmal auch Umgangssprache.
Der Plot an sich ist simpel. Penelope ist tot und erzählt aus dem Hades heraus ihre Geschichte. Das geschieht durch Rückblenden. Sie kommentiert das Geschehen schamlos und stellt vieles klar. Sie bemitleidet sich nie selbst und reflektiert wirklich interessant. Zwischen den Rückblenden erzählt sie immer wieder vom Leben in der Unterwelt und ihren dortigen Begegnungen. Ein Dorn im Auge ist ihr ihre wunderschöne Cousine Helena. Die bekommt wirklich ihr Fett weg. Aber auch andere große und tragische Figuren werden dargestellt und kommentiert, manchmal wird sogar ein wenig mit ihnen abgerechnet. Insgesamt hält sich der Ablauf an die Handlung der Odyssee, aber eben auf ganz andere Art und Weise.
Als Hörer war es für mich ein so abwechslungsreiches und fesselndes Hörbuch wie kaum ein anderes. Ich interessiere mich natürlich auch für die griechische Antike und  ging mit viel Vorwissen an die Geschichte. Aber auch so muss man den feministischen und modernen Charakter einfach würdigen. Auch jeder, der keinen blassen Schimmer von der Odyssee hat, kann hier seinen Spaß finden. Toll ist einfach auch der Mix aus Antike und Moderne. Es gibt nämlich am Ende auch kleine Zwischenspiele, als es dann um das Schicksal der zwölf Mägde geht. Ein fiktiver Gerichtsprozess wird nachgestellt, ein universitärer Hörsaal wird inszeniert und die Rolle der Zwölf so ganz neu interpretiert.
Vielleicht erlaubt das Buch keinen absolut neuen Blickwinkel auf die Geschehnisse, da Penelope die Geschichte eben nicht verändern, aber aus ihrer Perspektive erzählen kann. Aber allein diese Perspektive ist so innovativ und spannend, dass es mir eine unglaubliche Freude war, dieses Buch zu hören. Der Vollständigkeit halber muss ich noch erwähnen, dass Penelopes Stimme, Nina Kunzendorf, die Geschichte toll liest. Ihre beruhigende, aber eben auch stichelnde Art ist hervorragend und trägt die Geschichte. Die Aufmachung des Hörbuches ist, nebenbei erwähnt, ebenfalls sehr schön. Die CDs haben ein tolles Cover und das Bookelt ist zwar nicht umfangreich aber ausreichend. Man hätte allerdings auf die Plastikinnenseite verzichten können.


Ihr merkt schon: Ich komme aus dem Lobgesang und auch dem Staunen gar nicht mehr heraus. „Penelope und die zwölf Mägde“ ist als Hörbuch ein absolutes Highlight, das nicht nur für feministisch interessierte Personen spannend ist, sondern eben auch für jeden anderen, der einfach Spaß an Kultur hat. Ich bin wirklich begeistert und empfehle das Hörbuch bedingungslos: fünf Sterne!





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