29. Juni 2024

Rezension: "Gastgeschenke, Hilfestellungen und andere Merkwürdigkeiten" von Wolfgang Richter


Titel: Gastgeschenke, Hilfestellungen und andere Merkwürdigkeiten
Autor: Wolfgang Richter
Verlag: BoD
Preis: 21,99€
Seiten: 192
 

Ich reise wirklich gern. Doch ich bin eher der „Normalo“ unter den Reisenden. Ein schöner Sommerurlaub im Hotel mit Tagesausflügen reizt mich ebenso wie ein Städtetrip mit ganz viel Sightseeing. Das mache ich durchaus auch allein und verlasse so meine Komfortzone. Was ich allerdings niemals tun würde, ist mit einem umgebauten Auto durch Teile Afrikas, Asiens oder Kanada zu fahren. Und dort möglicherweise völlig hilflos abseits jeglicher Zivilisation zu stehen. 
Genau das hat aber der Autor Wolfgang Richter jahrelang gemeinsam mit seiner Frau gemacht. Seine spannendsten und skurrilsten Erlebnisse hat er in seinem ersten Buch „Gastgeschenke, Hilfestellungen und andere Merkwürdigkeiten“ niedergeschrieben. Durch Zufall wurde ich auf das Buch aufmerksam. Zusammen mit dem Autor ging ich also auf interessante Reisen und genoss die 55 kurzen Berichte. Das Lesen war eine tolle und humorvolle Erfahrung!


Stell Dir vor, Du willst in einem fernen Land ein Brot kaufen, doch in dem einzigen Laden weit und breit gibt es keins mehr. Eine nette Frau gibt dir eins von ihren Broten ab und schenkt dir eine ganze Dose selbstgemachte Butter dazu. Oder stell dir vor, ein Polizist verlangt von dir einen Führerschein, der speziell und nur auf seiner Insel gilt. Er bietet dir an, den Schein sofort bei ihm zu kaufen. Oder stell dir vor, in der afrikanischen Savanne erleidet dein Auto einen kapitalen Schaden und du kannst keinen Meter weiterfahren. Doch es kommt ein rettender Engel und schleppt dich zur nächsten Rangerstation und sagt dann: "IM BUSCH HILFT JEDER JEDEM!" Dieser Satz wurde zu unserem Motto auf all unseren Fernreisen, die uns mit unserem Allrad-Camper "Gecko", einem Toyota Landcruiser, bis nach Sibirien, in die Mongolei, auf der Seidenstraße durch Zentralasien, aber auch bis ans Nordkap und quer durch Nordamerika bis nach Alaska führten. Wir bestanden so manches Abenteuer und erlebten unglaubliche Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft. Natürlich durchstanden wir auch unangenehme oder gefährliche Situationen. Unser Fazit nach vielen Jahren und Kilometern des Reisens steht jedoch fest: Der überwiegende Teil der Menschen will nicht mehr, aber auch nicht weniger, als in RUHE UND FRIEDEN zu leben.

Wer gern reist, ist mit diesem Reisebericht wirklich gut beraten. Und wer gern Abenteuer erlebt, wird hier auch seine Freude haben. Mir hat an diesem Buch die Mischung besonders gut gefallen. Eigentlich handelt es sich lediglich um Alltagsgeschichten. Doch manchmal wird eben auch eine alltägliche Situation spannend oder sogar gefährlich. Mehr als einmal habe ich gedacht: „Das hätte ich NIEMALS getan!“ Beispielsweise als der Autor beschrieb, dass er in Marokko einem Einheimischen folgte, weil dieser von einem Fest berichtete, zu dem er das Paar führen könnte. Ich bin ein sehr skeptischer Mensch, wenn ich im Ausland unterwegs bin. Deswegen imponierte mir die offene Art von Richter durchaus. Gleichzeitig zeugen manche Berichte von einer gewissen Naivität, die dem Autor aber auch bewusst ist. Sehen wir es positiv: Nur durch eben diese Naivität hat er so viel erlebt!
Aber von vorn: Das Buch besteht aus 55 kurzen Geschichten über jeweils ein Reiseerlebnis. Dabei entführt Richter den Leser zunächst nach Afrika, dann nach Zentralasien (Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan…ich bin ganz ehrlich: Alles Gegenden, die ich zwar vom Namen her kenne, über die ich aber ehrlich gesagt absolut nichts Genaueres weiß) und letztendlich nach Kanada. Es handelt sich um Berichte aus mehreren Jahren und somit von verschiedenen Reisen. Meines Erachtens bemerkt man auch durchaus, dass das Paar in den ersten Geschichten manchmal noch etwas anders gehandelt hat als später. Besonders der erste Abschnitt über die Reisen durch Afrika hat mich gefesselt und schockiert zugleich. Für mich als behütete Europäerin ist es einfach unvorstellbar, was woanders auf der Welt ganz normal ist. Ich hätte in so vielen Situationen Angst gehabt! Und auch der Autor schreibt immer mal wieder, dass ihm selbst auch nicht immer ganz wohl war. So berichtet er von korrupten Polizisten, die geschmiert werden müssen, von bewaffneten Männern, die nachts durch die Steppe laufen oder auch von Kommunikationsproblemen oder völlig kaputten Straßen. Es ist einfach unglaublich, was dieser Mann alles erlebt hat. Ich wiederhole mich, aber: Ich hätte mich nichts davon getraut. Niemals.
Und deswegen bewundere ich Wolfgang Richter wirklich sehr! Aber es ist keinesfalls sein Bestreben, die Leute lediglich mit seinen Reisen zu unterhalten. Während des Lesens merkt man immer wieder, dass er betont, dass es um die Menschen geht. Er berichtet von unzähligen Begegnungen mit wundervollen Menschen, die er kennenlernen durfte. Vor allem aber, dass all diese Menschen immer hilfsbereit waren und wie schnell aus Fremden Freunde werden können. Diese Geschichten lehrten mich definitiv, dass die Welt viel offener ist, als man in seinem kleinen Elfenbeinturm so glauben mag. So viele Geschichten haben mich berührt. Gleichzeitig schreckten sie mich auf eine gewisse Weise ab. Denn eines hat das Buch bei mir auf jeden Fall bewirkt: Es hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich bin mir sicher, dass der Autor auch genau das beabsichtigt. Doch habe ich gar nicht so sehr über die wirklich schönen Lebensweisheiten nachgedacht, die er auch im Nachwort noch einmal betont, sondern über die Privilegien so vieler Menschen. Wenn Richter von Orten berichtete, an denen die Bewohner zu Wasserhäusern gehen müssen, um sich Trinkwasser zu kaufen (!) oder von Polizeirevieren, die eher aus dem Film zu stammen scheinen, musste ich immer wieder darüber nachdenken, was für ein sorgenfreien Leben „wir“ doch führen können. Man meckert über so vieles oder macht sich viele Probleme, dabei haben wir im Vergleich zu den meisten Menschen auf dieser Welt so unglaublich viel. Und wie schön ist es, zu sehen, dass diese „einfachen“ Menschen immer bereit sind zu teilen und Fremde in ihr Leben zu lassen?!
Das ist nur eine Lehre, die ich aus dem Buch ziehen konnte. Ich muss also wirklich sagen, dass man einerseits von den durchaus humorvoll geschriebenen Berichten gut unterhalten wird. Man kann es aber eben auch nutzen, um ein wenig zu reflektieren.
Nichtsdestotrotz muss ich auch kleine Dinge kritisieren. Man muss sich bei einem Buchumfang von 192 Seiten und 55 Geschichten bewusst sein, dass die Geschichten kurz sind. Diesen Fakt selbst finde ich persönlich ziemlich cool. So kann man nämlich immer mal wieder das Buch in die Hand nehmen und es lohnt sich auch für wenige Minuten. Andererseits kann man das Buch schwer am Stück lesen. Nach 20 Minuten bekommt man einfach zu viel Input. Aber da muss jeder selbst herausfinden, ob er das gut oder schlecht findet.
Dann muss ich zugeben, dass ich nicht jede Geschichte spannend und manche Titel etwas überzogen fand. Die meisten der 55 Geschichten sind aber interessant.
Mein größter Kritikpunkt ist tatsächlich eher äußerlicher Natur. Der Titel (der nebenbei bemerkt sogar noch einen ziemlich langen Untertitel führt) ist einfach zu sperrig. Hinzu kommt das nicht sehr ansprechende Cover. Hier muss man wirklich sagen „Never judge a book by its cover“, doch ich weiß, dass die meisten es eben doch tun. Ich würde dieser Geschichte ein Cover wünschen, das eine klarere Schrift hat und Aufmerksamkeit erregt. Auch der Titel sollte gekürzt werden. Ich verstehe zwar seine Angemessenheit, finde aber, dass er durch die Länge einfach nicht die Aufmerksamkeit erregt, die das Buch verdient hat!
Letztendlich muss ich noch erwähnen, dass der Stil des Autors gut ist. Er schreibt im Präsens, was mich zwischendurch etwas verwirrt hat. Aber so hat man eben auch das Gefühl, immer dabei zu sein. Sein Sprachstil ist recht einfach und sehr mündlich, was gut zu seinen Berichten passt. Toll ist übrigens auch, dass es im Buch Fotos zu manchen Kapiteln gibt, die der Autor selbst geschossen hat. Ich fand das immer besonders spannend, wenn auf diesen Bildern Menschen waren, von denen berichtet wurde.

„Gastgeschenke, Hilfestellungen und andere Merkwürdigkeiten“ ist eine wirklich tolle Sammlung abenteuerlicher und interessanter Reiseberichte. Ich hatte viel Spaß beim Lesen und empfand die kurzweilige Lektüre als absolut bereichernd! Die authentische Art des Autors macht das Lesen zu einer Freude und ich muss nochmal meine Bewunderung für ihn aussprechen! Ich persönlich störe mich am Titel und Cover, denn ich wünsche dem Buch ganz viele Leser! Insgesamt bewerte ich es mit vier von fünf Sternen.



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