Titel: Die Puppenspieler von Flore
Autor: Lilli Thal
Verlag: Gerstenberg Verlag
Preis: 19,95€
Seiten: 480
„Es ist die erste Fotokamera, die ich in Flore sehe, dem Land, in dem es keine Fotografien und keine Zeitungen gibt und Bücher lediglich in Form von bildlosen Kriegsberichten und Militärchroniken existieren.“ (S. 297)
Was ist das für eine Welt, von der hier die Rede ist (ohne
Bücher!)? Es ist eine grausame, eine brutale, eine in der das Leben nicht immer
lebenswert ist, da es eigentlich jemand anderem gehört. In dieser Welt muss der
junge Tamaso sich zurechtfinden und Menschen gehorchen, die ihm nichts
bedeuten. In dieser Welt dominieren der Schein und Gewalt. Doch neben ihnen existiert
noch ein kleiner Lichtblick: Das Puppentheater von Flore.
Begleitet Tamaso in einer ganz ungewöhnlichen und besonderen Geschichte, die an
einem Ort spielt, der vielleicht fern von unserem liegt, aber vielleicht mehr
mit ihm gemeinsam hat, als wir denken. „Die Puppenspieler von Flore“ ist ein wunderbares
Buch, das durch seine Dichte besticht und mich völlig fasziniert hat! Grandios!
Inhalt
Der 16-jährige Tamaso ist Parmaner und hat sich lange auf
seinen Schulabschluss gefreut. In Parman, ein Land in dem man zur Höflichkeit
und Rechtschaffenheit erzogen wird, will er den Musikladen seiner Eltern
übernehmen. Parmans großer Schutzherr ist Corona, das einzige Land, das die Kleinen
vor der Gewalt von Flore schützen kann. Doch plötzlich wird Tamaso an seinem
letzten Schultag zusammen mit 19 anderen parmanischen Jugendlichen
fortgebracht. Er findet sich in einem Camp der Coroner wieder, in dem ihm
erklärt wird, dass er genau das ist: Coroner. Seine „Eltern“ in Parman wussten
dies schon immer und nun soll er die Ausbildung zum Spion durchlaufen. Denn
Corona muss etwas gegen die Macht von Flore tun und hierzu sollen die
Jugendlichen als Agenten ihren Teil beitragen. Nach der harten Ausbildung im
Camp Mi wird Tamaso ausgerechnet in das Haus des zweiten Mannes im Staat
eingeschleust: Marschall Utuk. In seinem Keller wird gefoltert und getötet.
Doch in der zweiten Etage gibt es den Saal der Puppen. Die Stätte von Frau Utuk
und ihrem krüppeligen Sohn, in dem Harmonie und die Geschichten das Geschehen
bestimmen. Zwei Welten prallen aufeinander und der junge Tamaso schwankt
zwischen Loyalität und Verrat, zwischen Angst und Hoffnung. Kann er seine
Mission erfüllen?
Es beginnt eine Handlung, die einfach alles beinhaltet. Liebe, Freundschaft,
Hass, Gewalt, Brutalität und die Geschichte eines Jungen, der gezwungen wird
erwachsen zu werden. Wir haben es hier mit etwas Abwechslungsreichem und Ernstem
zu tun, das mein Herz allerdings berühren konnte.
Meinung
Ich denke meine Meinung ist bereits mit in die Inhaltsangabe
eingeflossen. Ich habe zu „Die Puppenspieler von Flore“ gegriffen, weil ich ein
wenig Abwechslung von den immer gleichen Liebesgeschichten haben wollte. Und
die habe ich bekommen. Der Rahmen der Geschichte gefiel mir unglaublich gut! Es
ist einfach eine völlig andere Welt, die an Wüstenlandschaften erinnert und
über die der Leser nicht viel weiß. Man erfährt eine Art Kulturschock und
gewinnt zum Teil Einblicke in ein völlig anderes Leben. Ein Beispiel: Die
Parmaner sind immer freundlich und zuvorkommend, ganz anders als die Coroner.
Als man die Jugendlichen umerziehen will, ist dies für alle Beteiligten nicht
leicht. Auch hier prallen Welten aufeinander. Tamaso denkt beispielsweise:
„Sport ist ein Wort, für das es keine parmanische Entsprechung gibt. Zu Hause treibt niemand Sport, nicht einmal in der Schule. Mit hochrotem Kopf schwitzen müssen nur die Tagelöhner bei der Feldarbeit oder beim Straßenbau. Doch für Coroner ist Rennen und Schwitzen keine Demütigung oder Schande, im Gegenteil. Sport ist für sie eine Art Religion.“ (S.37)
Man kann deutlich herauslesen, dass sich diese Welt von der unsrigen stark
unterscheidet. Allerdings eben auch nicht so sehr. Die Gewalt in Flore ist
überpräsent. Man würde mit unserem Vokabular sagen, dass die Florer in einer
Militärdiktatur leben. Alles ist auf das Militär ausgerichtet und Marschall
Utuk bestimmt die Geschehnisse in der Stadt. Ausgerechnet bei diesem grausamen
Mann landet Tamaso. Unser Held ist übrigens ein ganz normaler Junge. Allerdings
ist seine Entwicklung sehr interessant. Man erkennt genau, wie der kleine Junge
mit seinen Musikinstrumenten zum Mann und Kämpfer reift: Zum Spion. Er muss die
Hölle durchleben, sieht seine Freunde beim Sterben und lernt seine große Liebe
kennen. Denn es gibt auch gute Zeiten in dieser düsteren Geschichte. Und hier
muss ich das Puppentheater nennen. Es ist einfach nur faszinierend wie Lilli
Thal das Puppentheater von Flore einbaut. Tamaso arbeitet als Mechaniker im
Haushalt Utuk. Er erledigt jede Arbeit, egal welcher Art. In Flore ist nichts
wichtig neben dem Militär. Außer die Festtage des Puppenspiels, die einmal im
Jahr stattfinden. Frau Utuk ist mehrfache Meisterin dieser Spiele und hat
innerhalb ihres Hauses ihr Theater, um mit ihren Puppenspielern zu üben. Tamaso
repariert die Puppen und sieht so das Stück, was in diesem Jahr für das Fest
geübt wird. Und genau das ist das Großartige im Buch. Ab ungefähr der Mitte
folgt der Leser, genau wie Tamaso, immer dem Stück. Es geht um Gefährten und
Macht. Um Unterwerfung in Flore – und das spiegelt die Realität gut wieder. Es
gibt sozusagen eine Geschichte in der Geschichte, die die Geschichte
verdeutlicht. Eine so großartige Idee habe ich selten gesehen und es war eine
Freude der Geschichte der Puppen zu folgen.
Doch grundsätzlich dominieren der Tod und die Gewalt:
„Sie bringen mir ihre Toten. Hat der Leader keine Angst, dass, selbst wenn die lebendigen Florer auf seine Tarnung hereinfallen, sich irgendwann ihre Toten an ihm rächen?“ (S. 191)
Der Leader ist der Agent, der auf die Jugendlichen aufpassen soll. Doch hier
haben wir es mit einer besonders fiesen Kreatur zu tun. Doch ich will nicht zu
viel verraten. Insgesamt sind die Charaktere von der Autorin sehr interessant
gestaltet. Tamaso ist eine gute Figur, der ich vertrauen konnte. Es gibt einige
Highlights unter den Figuren. Das waren für mich vor allem die Zwillinge und
Master Rix. Die Zwillinge bringen einen wunderbaren Witz in die Sache und
verdeutlichen, dass man nicht alles so ernst nehmen darf. Auch Mailin ist ein
schöner Charakter, wenn auch nicht mein Favorit. Schnell verliert Tamaso an sie
sein Herz. Doch sie haben alle das gleiche Schicksal:
„Eine zarte, graue Gestalt, unterwegs zu einem Ziel, an dem sie nicht ankommen will, in einem Leben, das sie nicht leben will. Wir sind die Marionetten, nur die Fäden und Führungsstangen fehlen.“ (S. 224)
Sie gehören nicht sich selbst. Und ihr Leben ist ihrem eigenen Land nicht viel
wert. Sie sind lediglich Schachfiguren in einem großen Spiel. Und der Gegner
des Spiels ist eigentlich nur einer: der Tod.
„Immer sind es die Toten“, sagte sie. „Wohin wir auch gehen, sie sind schon da.“ (S. 423)
Der Schreibstil von Lilly Thal ist sehr schön. Er ist tiefgründig und bringt
wunderbare Sätze hervor. Er entführt uns authentisch in diese andere Welt, in
der man abtauchen kann.
Die Handlung ist recht exotisch und nicht immer stringent. Manchmal weiß man nicht genau, wohin das Ganze führt, aber für mich war das irgendwie nicht wichtig. Auch wenn das Ziel manchmal nicht ganz klar ist, ist der Weg dahin sehr interessant und ergab so ein tolles Buch!
Die Handlung ist recht exotisch und nicht immer stringent. Manchmal weiß man nicht genau, wohin das Ganze führt, aber für mich war das irgendwie nicht wichtig. Auch wenn das Ziel manchmal nicht ganz klar ist, ist der Weg dahin sehr interessant und ergab so ein tolles Buch!
Fazit
Für mich ist „Die Puppenspieler von Flore“ ein ganz
besonderes Buch. Es ist etwas Spezielles, was mir unglaublich gut gefiel. Leider
war der Höhepunkt der Geschichte für mich etwas 100 Seiten vor Schluss, was mir
das Ende etwas kaputt machte. Aber obwohl ich mit dem Ende nicht zu 100%
zufrieden bin, habe ich unglaublichen Respekt vor dem Buch. Ich kann es
wirklich nur empfehlen, denn es ging mir lange Zeit nicht aus dem Kopf. Es ist
vielleicht nicht die leichteste Lektüre, aber sie lohnt sich sehr. Ich kann gar
nicht anders, als volle Punktzahl zu vergeben. Denn auch wenn der Tod und die
Gewalt hier allgegenwärtig sind, wird auf der anderen Seite doch sehr gut
deutlich, wie wichtig Hoffnung ist. Und dass es die verschiedensten Dinge sind,
die diese in uns auslösen können – und wenn es nur ein paar Puppen aus Holz sind, die
gegen politische Machenschaften, Intrigen und Putschversuche bestehen müssen.
Die Puppen stellen sich dieser Mission. Ein wirklich großartiges Buch!
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