10. März 2017

Rezension: "Das Mädchen mit dem Löwenherz" von Jürgen Seidel


Titel: Das Mädchen mit dem Löwenherz
Autor: Jürgen Seidel
Verlag: cbj
Preis: 16,99€
Seiten: 384

Die meisten werden es mitbekommen haben: Wir feiern 2017 das Reformationsjubiläum – das Lutherjahr. Martin Luther, der Mann, in dessen Namen die Reformation auf der Weltbühne stattfand, ist seit Jahrhunderten tot. Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte er seine 95 Thesen, die vor allem über den Ablasshandel berichteten. Dieses Ereignis gilt als der Beginn der Reformation. Es ist nichts Neues, dass zu solch geschichtlichen Ereignissen und Jubiläen auch die Literatur die passenden Geschichten und Bücher veröffentlicht. Ich mag diesen Trend. Als Geschichtsstudentin finde ich es wichtig, sich mit den verschiedensten Aspekten der Geschichte auseinanderzusetzen und die Literatur ist dabei ein schöner, wenn auch manchmal verherrlichender Weg. Natürlich gibt es auch die passende Freizeitlektüre zum Lutherjahr und das finde ich einfach großartig. Der Glaube und die Kirche sind Dinge, ohne die unsere Welt nicht zu erdenken ist. In der deutschen Geschichte ist kaum eine Instanz so wichtig gewesen, wie die Kirche. Das Thema ist vor allem im heutigen Kontext brisant und dennoch ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. 
Als ich von Jürgen Seidels Buch „Das Mädchen mit dem Löwenherz“ hörte, war ich Feuer und Flamme. Ich finde es relativ mutig, ein Jugendbuch im Kontext Martin Luthers zu schreiben und daher wagte ich mich nur zu gern an diesen Stoff. „Das Mädchen mit dem Löwenherz“  ist eine überaus interessante Lektüre! Es entführt den Leser in die Zeit der Reformation und gibt eine authentische und interessante Darstellung einer Gläubigen, die mit ihrer Gabe in einer schwierigen und gefährlichen Zeit zurechtkommen muss. Ich kann das Buch vor allem in diesen Tagen sehr empfehlen! Es ist wirklich lesenswert!


Klappentext


Als die 13-jährige Anna das erst Mal ins Visier der Mächtigen gerät, weiß sie nichts von den Kämpfen, die die katholische Kirche und die Anhänger Martin Luthers zu jener Zeit miteinander ausfechten. Doch Anna ist ein hochbegabtes Waisenmädchen, das über ein absolutes Gedächtnis verfügt, was Geschriebenes angeht. Ein der Reformation zugeneigter katholischer Würdenträger erkennt ihre Begabung. Fortan setzt er sie als Junge verkleidet als Spionin in eigener Sache ein, die den Klerus belastende Dokumente unters Volk bringt. Doch es dauert nicht lange, bis die katholische Kirche ihr auf die Spur kommt und Anna sich inmitten von Intrigen und Verbrechen wiederfindet. Jetzt, so denkt sie, kann ihr nur noch einer helfen: Martin Luther!

Meinung


Das Buch ist ein Briefroman. Allein diese Art des Erzählens macht „Das Mädchen mit dem Löwenherz“ sehr interessant. Es gibt nicht mehr viele Briefromane, aber in diesem Kontext macht die Erzählform absolut Sinn. Anna schreibt Briefe an den großen Doktor Martin Luther. Sie schreibt aus einem geheimen Versteck und trägt ihm so ihre eigene und gefährliche Geschichte zu. Anfangs ist der Stil natürlich ungewohnt, aber ich habe mich sofort wohlgefühlt. Anna schreibt sehr gebildet, drückt sich gewählt aus und in jedem Brief ist die Allgegenwärtigkeit des Glaubens entscheidend. Auch hier fällt mir nur das Attribut interessant und auch beeindruckend ein. Die Erzählerin nimmt den Leser so mit, führt ihn langsam in ihre Welt ein und behält ihn gleich da. Jürgen Seidel hat als Autor einen sehr guten Job gemacht. Ich finde es immer aufmerksamkeitserregend, wenn ein Mann eine weibliche und junge Protagonistin wählt. Manchmal hat man das Vorurteil, dass das Feingefühl für die Figur nicht vorhanden sei. Das ist hier aber gar nicht der Fall. Seidel hat eine sehr authentische Protagonistin erschaffen, die feminin und stark ist. Das einzige, was ich am Stil zu bemängeln habe, ist die fehlende Außenperspektive. Man hat sich bewusst für die einseitige Erzählweise eines Briefromans entschieden, aber manchmal kann man Anna nicht folgen. Sie erzählt sehr selbstverständlich von vielen verschiedenen Würdenträgern der Kirche und ich persönlich verwechselte einige von ihnen. Hilfreich ist hier aber auch das Glossar, das am Ende zu finden ist. Hier werden kirchliche und längst vergessene Begriffe erklärt und auch dieses Vokabular macht die Geschichte so authentisch.
Anna erlebt sehr viel. Insgesamt erzählt das Buch einen Abschnitt von fast 10 Jahren aus Annas Leben. Anna ist ein gutes Mädchen, das sehr gläubig ist. Sie besitzt eine besondere Gabe, die sie als „Wolkenauge“ bezeichnet. Ihr Wolkenauge bewirkt, dass sie einen Text nur einmal lesen muss und er bleibt für immer in ihrem Gedächtnis. Diese Fähigkeit ist für gewisse Leute natürlich von großem Nutzen und geeignet für Spionagetätigkeiten. Und gleichzeitig kann man sich nicht sicher sein, ob es nicht doch eine Gabe des Teufels ist. Wie bereits erwähnt, ist der Glaube allgegenwärtig und das ist auch gut so. Im Mittelalter legten die Menschen ihr gesamtes Leben auf den Glauben aus – ein Zustand, den man sich heute kaum noch vorstellen kann. Anna in diese Welt zu folgen ist eine wunderbare Erfahrung und ich hatte dabei sehrt viel Spaß. So, wie ich es beurteilen kann, sind die historischen Ereignisse korrekt und nicht widersprüchlich dargestellt. Man erfährt sehr viele Dinge aus dem Leben Martin Luthers, seiner Familie und über die Würdenträger der katholischen Kirche. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang das Ende, das mir gut gefiel. Man sollte auch immer aufpassen, Luther nicht zu verherrlichen, denn er hatte nicht nur gute Seiten. Mir gefällt die Art, wie Seidel mit seiner Biografie umgeht und im Nachwort erklärt er den Ausgang des Buches plausibel. Der Zeitgeist wurde gut erfasst! Man kann mit dieser Lektüre lernen und wird zum Hinterfragen aufgerufen. Nach dem Lesen ist man noch immer von Annas Geschichte berührt und zieht notwendigerweise den Vergleich zum eigenen Leben heran.
Die Geschichte hat natürlich spannende und intrigante Züge. Als „Thriller“ kann man es dennoch nicht betiteln. Es ist eine spannende Jagd und Anna hat viele Feinde, dennoch hat man an einen Thriller andere Erwartungen. Noch ein paar Sätze zu den Nebenfiguren: Anna schreibt von vielen wichtigen Menschen. Für manche von ihnen entwickelt man ein Gespür. Besonders wichtig sind Johanna, Till oder auch Irm, natürlich aber auch Zangl und Wichard. Wie ich bereits sagte, fehlt hier eine andere Perspektive als die Annas.‘ Dementsprechend fand ich es sehr schade, wenn Freunde verstorben sind und dies in nur wenigen Sätzen dargestellt wurde. Das nahm dem Ganzen die Emotionalität. Andererseits musste es ganz genauso erzählt werden, denn Anna schreibt an Martin Luther – und was interessiert es ihn, ob sie Weggefährten verloren hat? Dieser kleine Minuspunkt ist also eigentlich doch ein Pluspunkt.


Fazit



Ich habe „Das Mädchen mit dem Löwenherzen“ gerne gelesen und den Buchdeckel mit einer gewissen Ruhe geschossen. Jürgen Seidel hat mich in eine andere Zeit mitgenommen, in der andere Werte von Bedeutung waren. Ich fand diesen Besuch der Reformationszeit absolut gelungen, authentisch und interessant. Anna ist eine gute Protagonistin, auch wenn man nur bruchstückhaft etwas über sie erfährt. Die eingegrenzte Perspektive des Briefromans erschwert manchmal das Verständnis der Geschehnisse. Ansonsten ist die Geschichte aber spannend und wunderbar geschrieben. Man lernt etwas beim Lesen und das ist ein wichtiger Punkt bei solch geschichtsträchtigen Jubiläumsbüchern. „Das Mädchen mit dem Löwenherz“ ist ein wirklich tolles Buch, für das ich 4 Spitzenschuhe vergebe.




Vielen Dank an den cbj-Verlag für das wundervolle Rezensionsexemplar!

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