16. Februar 2018

Rezension: "Der Klang der ungespielten Töne" von Konstantin Wecker


Titel: Der Klang der ungespielten Töne
Autor: Konstantin Wecker
Verlag: Güstersloher Verlagshaus
Preis: 16,99€
Seiten: 160


Wenn ich einen musischen Bereich nennen müsste, den ich wirklich beherrsche, dann ist es das Tanzen. Wenn ich einen musischen Bereich nennen müsste, den ich wirklich gern könnte und vergöttere, dann ist es das Klavierspielen. Das eine kann ich, das andere könnte ich gern – und beides liebe ich. Und weil ich das zweite nur durch Hören von Musik ausleben kann, freue ich mich immer, wenn ich Bücher mit dem Thema des Pianos entdecke. Deswegen wollte ich auch direkt die Neuauflage des Buches „Der Klang der ungespielten Töne“ von Konstantin Wecker lesen. Das Cover nahm mich sofort gefangen, aber vielmehr gefiel mir der Titel. Poetisch und charmant – das sind Attribute, die zu diesem Buch gehören! Allerdings sind Handlungsteile auch ungewöhnlich, verwirrend oder fremd. Aber authentisch – und nichts anderes habe ich erwartet.

Auf seiner Suche nach der Wahrheit der Musik droht der junge talentierte Musiker Anselm Cavaradossi sich selbst zu verlieren. Weder Blues noch Rock 'n' Roll noch die Begegnung mit dem geheimnisvollen Lehrer Karpoff vermögen seine Sehnsucht zu stillen. Enttäuscht gerät er in die Fänge des Musikbusiness: Partys, falsche Freunde und die Ehe mit einer Frau, die er nicht liebt. Erst die Cellistin Beatrice öffnet ihm die Augen …

„Der Klang der ungespielten Töne“ ist kein gewöhnliches Buch. Konstantin Wecker ist ein Künstler und das mit jeder Faser seines Körpers. Das lässt sich in seiner Handlung, seinem Stil, aber auch in der Wahl seines Protagonisten erkennen. Anselm ist ein komischer Kauz. Er ist eigensinnig, aber auch frisch. Er hat eine vollkommen andere Lebenseinstellung, als Gleichaltrige und das liegt auch an seiner Liebe zur Musik. Anselms Einstellung ist bemerkenswert, sie macht ihn aber auch einsam. In einer Textstelle wird sehr deutlich, wie wichtig ihm die Musik ist:
„Ich wollte für die Kunst leben, wenn’s sein musste auch sterben, mich von ihr berauschen lassen, in ihr blühen und verglühen – die Musik als philosophisches Konzept zur Gestaltung der Seele, das war mir nicht geheuer.“ (S. 44)
Oft geht es um Buch um die Frage des Seins, um Grundfragen des Lebens. Für Anselm ist das Leben kein leichtes. Er weiß, dass er es nur mit der Musik verbringen will, macht sich auch schnell einen Namen, hat aber nicht die Geduld, um zu reifen. Deswegen wird er schnell kommerziell und will nur möglichst schnell viel Geld machen. Der Plan geht auf. Doch dabei verliert er sich selbst. Und um diesen Prozess geht es die meiste Zeit des Buches. Das Verlieren und das Wiederentdecken. Dieser Prozess ist kein leichter und man kann dieses Buch auch nicht als Unterhaltungsroman bezeichnen, aber man hat dennoch Spaß mit Weckers Poetik. Ich habe mir viele Stellen im Buch markiert, denn immer wieder konnte den Autor mich mit seinen tiefgründigen Worten überzeugen:
„Die Wahrheit der Klänge öffnet sich nur dem, der seinem Selbst in der Stille begegnet ist. Am leichtesten zu verstehen ist das durch einen Vergleich mit der Sprache: Ebenso wie ein Wort im Laufe eines bewussten Lebens an Bedeutung gewinnt, erschließt sich der entwickelten Seele ein und derselbe Ton in einem reicheren Klang, mit der ganzen Fülle seiner und des Hörers Geschichte.“ (S. 47)
Weckers Stil ist nicht einfach, aber schön. Und vor allem ist intelligent und tiefsinnig. Wecker scheint über jeden Satz genau nachgedacht zu haben und die Worte abgewogen zu haben. Das war sehr schön zu beobachten. Ich muss aber auch sagen, dass man das Buch in ruhigen Momenten lesen sollte, denn ansonsten hat man zu wenig Konzentration. Um „Der Klang der ungespielten Töne“ richtig genießen zu können“ braucht es Ruhe.
Und Ruhe ist ein gutes Stichwort. Für Anselm geht es viel um Stille. Am Ende wird er beinahe wahnsinnig, indem er die Stille lebt. Das ist befremdlich, aber auch lesenswert. Auch hier ein kluges Zitat zur Stille und zum Schweigen:
„Es geht nicht ums Schweigen, lieber Freund, es geht um Stille. Das Schweigen hat nur insofern etwas mit der Stille zu tun, als man zuerst einmal zu schweigen hat, um in die Stille zu gelangen.“ (S. 74)
Es ist nicht einfach zu begreifen, was der Autor mit dem Buch sagen möchte, denn es steckt viel Geschichte darin. Aber ich glaube, dass jeder etwas aus dem Büchlein mitnehmen kann. Die Handlung ist nicht die spannendste, aber sie ist interessant. Es gibt Teile, die biografisch inspiriert sind und das merkt man auch. Insgesamt ist Anselm eine kuriose Persönlichkeit. Nebenfiguren gibt es wenige. Da wären lediglich Anselms Eltern, seine egozentrische Frau und sein Lehrer Karpoff. Letzterer war für mich der interessanteste. Man muss aber sagen, dass das Buch nicht von seiner Figurenkonstellation lebt, sondern vielmehr von seinem eigenen Klang, seinem Thema, seiner Liebe zur Sache selbst - zur Musik.
Außerdem gibt es für jeden kleine Wahrheiten in diesem Buch. Mein Lieblingszitat war auf jeden Fall das folgende:
„Dem geschulten Ohr fällt auf, wenn Menschen lügen. Wer lügt, verspannt sich, und seine Stimme gleicht dem Ansatz einer Melodie, die noch auf der Suche nach ihrer tonalen Zugehörigkeit ist. Ehrliche Melodien dagegen sind sich selbst genug. Welch ein grässliches Konzert menschlicher Unaufrichtigkeit bietet sich doch dem Horchsamen.“ (S. 20)

„Der Klang der ungespielten Töne“ ist ein interessantes, aber spezielles Buch. Es ist sehr poetisch und tiefsinnig und macht deswegen auf jeden Fall Freude zu lesen. Manchmal ist es aber auch merkwürdig und man muss sich an die Handlung gewöhnen, die für den ein oder anderen monoton daher kommt. Mich konnte das Buch, auch durch seinen tollen Stil und das interessante Thema, sehr beeindrucken. Ich habe noch einmal einen ganz anderen Blickwinkel auf Musik bekommen und ziehe meinen Hut. Vier von fünf Spitzenschuhen.



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