31. Juli 2017

Rezension: "Galgenmädchen" von Jean-Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs


Titel: Galgenmädchen 
Autor: Jean-Claude van Rijckeghem & Pat van Beirs 
Verlag: Gerstenberg 
Preis: 5,00€ 
Seiten: 496


Obwohl ich Geschichte studiert habe, verirre ich mich eher selten ins Genre der Historischen Romane, obwohl auch diese oft gut sind. Wird das Genre aber mit dem des Jugendbuches gepaart, ist die Mischung auch für mich interessant - selbst wenn der Zeitraum das Mittelalter betrifft. Denn genauso ist es bei dem Buch „Galgenmädchen“ von den belgischen und niederländischen Autoren Jean-Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs. Ihr Buch spielt in den Niederlanden und Spanien im ausgehenden 16. Jahrhundert, was ein sehr besonderes Setting darstellt. Hinzu kommen eine sehr starke Protagonistin, ein authentischer Stil und eine interessante Geschichte, die auch nach dem Lesen noch lange im Kopf bleibt. Wirklich zu empfehlen!

Antwerpen 1582. Die 14-jährige Beutelschneiderin Gitte Niemandstochter hat schon die Schlinge um den Hals, als sie in letzter Minute dem Galgen entkommt. Statt des sicheren Todes erwartet sie eine Seereise nach Sevilla, wo sie für den Prinzen von Oranien spionieren und die strategisch wertvollen Seekarten stehlen soll. Die Niederlande liegen mit Spanien im Krieg, und Gittes mysteriöse Herkunft als angebliche Bastardtochter eines spanischen Herzogs soll ihr bei ihrer Rolle als Spionin helfen. Tatsächlich schafft sie es in die Familie des Herzogs aufgenommen zu werden. Doch ihre Doppelrolle als Spionin und Tochter bringt sie zunehmend in Bedrängnis, umso mehr, als sie sich in einen Schützling des Herzogs verliebt...

Das Buch stand sehr lang ungelesen in meinem Regal, dabei hat es das absolut nicht verdient. Man hat es hier mit einer anderen, einer ungewöhnlichen Geschichte zu tun. Das liegt nicht nur an der Handlungszeit und dem Handlungsort, sondern am Thema an sich. Man lernt Gitte als Diebin kennen, die alles für ein warmes Essen tun würde. Erst nach und nach wird ihr bisheriges Leben geschildert, die Umstände, durch die sie überhaupt zur Diebin wurde und ihre wahre Herkunft werden angerissen. Dieser Teil des Buches war relativ schwer für mich. Ich fand nicht sofort in die Geschichte, denn man muss sich zunächst an den Stil gewöhnen. Die beiden Autoren schreiben wirklich gut und schaffen es vor allem den Zeitgeist einzufangen – auch mit Hilfe des Vokabulars. Viele Ausdrücke sind aber sehr derb oder vulgär und man stolpert ein bisschen. Andererseits gehören sie ins Mittelalter und waren damals keineswegs ungewöhnlich. Trotzdem stockte ich bei Begriffen wie „pissen oder Kackstein“. Dadurch dauerte es ein bisschen, bis ich in der Geschichte ankam. Außerdem sind die ersten 100 Seiten noch nicht ganz so aufregend, sie bauen allerdings Authentizität auf. 
Spannend wird es dann, als Gitte kurz davor ist, gehängt zu werden. Ihre Begnadigung, die Vorbereitung auf den Auftrag und die Fahrt nach Sevilla vergehen wie im Flug. Und als Gitte in Spanien ankommt, beginnt die Geschichte erst richtig. Sehr oft verändert sich der Fokus von „Galgenmädchen“, die Themen variieren. Das Buch handelt von Gittes Leben und zeigt dies in allen Facetten. Deswegen werden ganz verschiedenen Atmosphären und Eindrücke gesammelt und angerissen. Was mit einer Gaunergeschichte beginnt, wird zu einem Abenteuer, einer Liebesgeschichte, eine Geschichte über Familie und Ehre. So viele Themen werden miteingezogen und spielen eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang entwickelt sich die Protagonistin Gitte stark. Man ist an ihrer Seite während sie von einem Gossenmädchen zu einer spanischen Dame reift und das Leben mit ganz anderen Augen sieht. Sie hat schon alles durchgemacht und wird dadurch zu einem sehr interessanten und vor allem starken Charakter. Sie führt den Leser durchs Buch und zieht ihn langsam in ihren Bann. Ich mochte Gitte sehr gern. Sie ist ungewöhnlich, ist aber eine Kämpferin! Eine Wahnsinns-Frau, die ich am Ende wirklich sehr bewundert habe! Die Handlung ist nicht voraussehbar und vor allem den Handlungsstrang der letzten 100 Seiten hatte ich so nicht erwartet. Man kann sich also überraschen lassen.
Neben Gitte gibt es noch einige Nebenfiguren. Auch diese haben sehr interessante Züge, spielen neben Gitte aber nur eine untergeordnete Rolle. Da wären natürlich der Herzog und die Herzogin, zu denen Gitte kommt, dann Don Domingo, in den sie sich verliebt, aber auch Karel oder Johannes. Alle Figuren sind für die Geschichte wichtig und erfüllen mehr als nur ihren Zweck – sie machen die Geschichte aufregend. 
Die Handlungsorte sind toll eingefangen. Überhaupt ist die Geschichte mit viel Authentizität geschrieben: Man fühlt sich, als wäre man vor Ort. Man bekommt einen Eindruck der Wichtigkeit der Kirche im Mittelalter. Für den Krieg, die Menschen, das Leben. Antwerpen und Sevilla sind die Städte in denen die Handlung spielt und beide wurden so bildreich beschrieben, dass meine Vorstellungskraft sehr angeregt war! Die beiden Autoren haben einen wirklich guten Stil, der toll zur Geschichte passt (, auch wenn man sich eben dran gewöhnen muss).



„Galgenmädchen“ ist eine spannende und facettenreiche Geschichte um ein starkes Mädchen, das zur Frau reift und mit dem Leben Katz und Maus spielt. Gitte ist eine tolle Protagonistin und die Nebenfiguren sind ebenfalls sehr gut gelungen. Die Schauplätze der Geschichte beeindrucken und der Stil ist authentisch, wenn auch manchmal eher ungewöhnlich. Die Handlung verlagert oft ihren Fokus und bleibt dadurch abwechslungsreich. Ich wurde nach und nach von diesem Buch gefangen genommen und denke noch sehr viel über die Geschichte nach. Ich vergebe 4,5 Spitzenschuhe für das „Galgenmädchen“ und ihren Kampf um das Leben und die Freiheit.


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